KI und alternative Realitäten

Künstliche Intelligenz schafft alternative Realitäten

Die Fähigkeiten von KI, zu Lernen und auch Neues zu schaffen, führen gemeinsam mit der immer schneller voranschreitenden Leistungsentwicklung im Bereich der Computergrafik zu einer Beflügelung von Virtual Reality und der Entstehung von „alternativen Realitäten“ – mit potenziell gravierenden Folgen nicht nur technischer, sondern auch gesellschaftlicher Art.

Über die Fähigkeit Künstlicher Intelligenz, „kreativ“ zu sein, etwa eigene „digitale Kunstwerke“ erstellen zu können, wird schon länger diskutiert. Während die ersten eigenständig erstellten Bilder eher auf Zufallsprozessen beruhten, gelang es später, gestalterische Abläufe zielgerichtet zu ermöglichen. Nicht nur künstlerische, abstrakte Bilder lassen sich damit erschaffen, auch fotorealistisches Material kann auf diese Weise erzeugt werden.

Von der künstlichen Kreativität zur künstlichen Realität

Zum Einsatz kommen hier sogenannte „Generative Adversarial Networks“ (GAN), die sich im Prinzip als gegeneinander agierende Künstliche Neuronale Netzwerke beschreiben lassen. Der Begriff „adversarial“, zu Deutsch etwa „gegensätzlich“, bezieht sich auf die dabei zur Anwendung kommende „Gegenüberstellung“ zweier miteinander interagierender Netzwerke. Das eine, der „Generator“, erzeugt Elemente, die vom zweiten, dem „Diskriminator“, bewertet werden. Das Generatornetzwerk könnte beispielsweise Bilder erstellen, deren Gegenstand und Inhalt dann vom Diskriminatornetzwerk – einer Bilderkennungs-KI – zu identifizieren sind.

Im Zuge dieses Prozesses könnte die Bilderkennungs-KI, welche mittels „echten Fotos“ trainiert wurde, die Fehlertoleranz sukzessive reduzieren. Um seine Bilder also weiterhin identifizierbar zu machen, muss sich das Bild erzeugende Netzwerk – der Generator – im Gegenzug gewissermaßen immer stärker „anstrengen“. Die auf diese Weise entstehende Qualitätsspirale bewirkt, dass die fotorealistische Anmutung der erzeugten Bilder automatisch verbessert wird: Die beiden Netzwerke trainieren sich gegenseitig.

In der Folge entstehen so „echt“ aussehende Fotos von Dingen, die nie existiert haben:

aus: „Künstliche Intelligenz im Marketing“, von Andreas Wagener, 16.10.2019

Auch menschliche Gesichter lassen sich mit dieser Methode erstellen. Schon zu fast legendärem Ruhm brachte es innerhalb kürzester Zeit die Website whichfaceisreal.com. Dort werden dem Besucher Fotopaare von menschlichen Gesichtern gezeigt, eines davon zeigt einen „echten“ Menschen, das andere ist ein künstlich erzeugtes Bild. Der Betrachter muss nun versuchen zu erraten, welches von beiden tatsächlich einen natürlichen Ursprung hat.

Which face is real? www.whichfaceisreal.com

Zum Teil weisen die von der KI erzeugten Bilder noch recht offensichtliche Fehler auf – ein verschobener Haaransatz, verschwommene Bildhintergründe oder Körperteile erscheinen an Stellen, an die sie nicht gehören. Oft aber ist die Unterscheidung zwischen Künstlichkeit und „natürlicher Realität“ kaum noch möglich. Dem System gelingt es regelmäßig, den menschlichen Betrachter in die Irre zu führen. Die Qualität, die mit dieser Technik erreicht werden kann, ist so hoch, dass inzwischen sogar eine kommerzielle Bildagentur 100.000 KI-erzeugte menschliche Portraits als Stockfotos kostenfrei zum Download und zur Verwendung als Werbematerial feilgeboten hat.  Damit zeigt sich hier auch deutlich das vielbeschworene Disruptionspotenzial Künstlicher Intelligenz: mit einem Schlag könnten Models, Fotografen und auch Bildagenturen arbeitslos werden – und dies nicht erst in einer fernen und unbestimmten Zukunft.

Künstliches Bewegtbild: Deepfakes

Was mit (vermeintlichen) Schnappschüssen funktioniert, funktioniert auch mit Bewegtbild. Schon seit geraumer Zeit wird über sogenannte „Deep Fakes“ diskutiert, mit Hilfe von KI bearbeitete oder gänzlich erstellte Videos. Diesen können dazu verwendet werden, mittels gefälschtem, künstlich erzeugtem und unter Umständen kompromittierenden Bildmaterial eine mediale Öffentlichkeit zu schaffen, die nicht der Realität entspricht, sondern allein die Verfolgung von Manipulationszwecken zum Ziel hat. Denkbar ist hier ein breites Spektrum von Szenarien, vom „Einbau“ eines Prominenten in eine Sex-Szene in einem Pornofilm bis hin zu künstlich erzeugten Meinungsäußerungen eines Politikers, welche dessen angebliche moralische oder gesellschaftliche Verkommenheit belegen sollen.

Putschversuch wegen Deepfake-Verdacht

Es wird zunehmend schwerer, hierbei Realität und Fälschung auseinanderzuhalten, was sich auch in einer erhöhten grundsätzlichen Skepsis niederschlägt. Exemplarisch dürfte der Fall des Präsidenten von Gabun, Ali Bongo, sein, der nach einer medizinischen Behandlung, vermutlich eines Schlaganfalles, längere Zeit nicht mehr in der Öffentlichkeit auftrat. Gerüchte, er sei verstorben, machten bald die Runde. Infolgedessen sah sich die Staatsmacht veranlasst, ein Video des Staatsoberhauptes mit einer Ansprache an die Nation zu veröffentlichen, um auf diese Weise der Behauptung dessen Ablebens zu widersprechen. Dies führte jedoch genau zum Gegenteil der erwünschten Reaktion: Viele zweifelten die Echtheit des Materials an und verdächtigten die Regierung der gezielten Manipulation, der künstlichen Erstellung des Filmmaterials, um den Tod des Präsidenten zu kaschieren. Die Aufregung mündete schließlich sogar in einen Putschversuch, der jedoch niedergeschlagen werden konnte:

Aus: „Künstliche Intelligenz im Marketing“,von Andreas Wagener, 16.10.2019

Alternative Realitäten: Was ist künstlich, was ist echt?

Das Beispiel zeigt, dass sich die Unterscheidung zwischen künstlicher und „echter“ Realität für uns immer mehr zur medialen Herausforderung entwickelt. Das, was wir heute sehen und wahrnehmen, muss nicht mehr zwingend der Wirklichkeit entsprechen. Wir können uns auch nicht mehr sicher sein, ob der Gegenüber am Bildschirm ein echter Mensch aus Fleisch und Blut oder bloß ein Produkt von Pixeln ist.

Virtuelle und natürliche Welt wachsen auf diese Weise Stück für Stück zusammen. Die Unterscheidung, was echt und was künstlich ist, verliert offenbar immer mehr an Bedeutung. Darin spiegelt sich vielleicht auch der gesellschaftliche Rahmen, in dem wir uns bewegen, ein Stück weit wider, wo Fakenews und Filterblasen an Einfluss gewinnen und „Echtheit“ und Unverfälschtheit nicht notwendigerweise einen Maßstab darstellen.

Der Artikel beruht auf dem Buch von Andreas Wagener Künstliche Intelligenz im Marketing – ein Crashkurs, Haufe, Freiburg, 2019

Vortrag/Keynote von Prof. Dr. Andreas Wagener: „Ein neues Zeitalter im Marketing: Künstliche Intelligenz, maschinelle Kreativität, virtuelle Realitäten & DNA-Targeting„:

Mehr Informationen zum Thema KI im Marketing finden Sie im Buch von Andreas Wagener Künstliche Intelligenz im Marketing – ein Crashkurs, Haufe, Freiburg, 2019:

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