Blockchain und Industrie 4.0 – Das Ende der Plattformökonomie?

Blockchain ohne Mining. Wie der Blick auf Bitcoin Blockchain unnötig verkompliziert

Diskussionen über Blockchain kreisen vorwiegend um Kryptowährungen, die damit verbundenen Risiken und Nachteile, wie der hohe Energieverbrauch beim „Mining“. Andere Anwendungsfälle werden – fragwürdigerweise – vor allem im Supply-Chain-Bereich gesehen. Für viele Anwendungen wäre eine klassische „Client-Server“-Architektur hingegen besser geeignet. Die oft konfuse Diskussion engt den Blick auf die Technologie ein und verkompliziert die Auseinandersetzung mit dem Thema unnötig. Es geht auch einfacher.

Blockchain ist derzeit in aller Munde. Die Technologie, die oft auch präziser als „Distributed Ledger“-Verfahren bezeichnet wird, soll großes „Disruptionspotenzial“ besitzen. Immer noch sprechen wir jedoch in diesem Kontext vorwiegend über Kryptowährungen, wie Bitcoin, die auf diese Ansätze maßgeblich zurückgreifen und deren Probleme und davon ausgehende Gefahren. Dazu zählen insbesondere die teils erheblichen Kursschwankungen an den Märkten, die zahlreichen Betrugsversuche sowie der extrem hohe Energieverbrauch, der mit dem „Mining-Prozess“, welcher der Verifizierung der Transaktionen und der „Geldschöpfung“ dient, in diesen Systemen oft einhergeht.

Blockchain ist nicht so kompliziert, wie wir es mit der Betrachtung von Bitcoin machen

Dabei schränkt die konzentrierte Betrachtung der Bitcoin-Blockchain den Blick auf die Potenziale der Distributed-Ledger-Ansätze erheblich ein und verkompliziert die Darstellung der Wirkungsweisen und Potenziale. Bitcoin funktioniert eigentlich über eine Kombination verschiedener, jeweils für sich bereits hoch komplexer Einzeltechnologien. Neben der eigentlichen „Blockchain“, in die die Transaktionsdaten gespeichert werden und deren „distribuierter Verteilung“, umfasst dies verschiedene kryptographische Ansätze sowie die Bestrebungen, den Teilnehmern einen möglichst hohen Grad an Anonymität zu gewährleisten und zusätzlich das komplizierte „Mining“-Verfahren, das einerseits der „Geldschöpfung“ dient, andererseits aber auch die Netzwerkteilnehmer motivieren soll, überhaupt zur Funktionsfähigkeit des Systems aktiv beizutragen. Darunter sind jedoch viele Elemente, die zwar unentbehrlich zur Errichtung eines dezentralen Geldsystems sein mögen, allerdings für andere Anwendungen, die sich mittels „Distributed Ledger“ realisieren lassen, unter Umständen weitgehend irrelevant sind. Mit anderen Worten: Blockchain muss nicht so kompliziert sein, wie wir es mit der Betrachtung von Bitcoin oft machen.

Vorteile zentraler Speicherung

Bei Blockchain-Ansätzen geht es fast immer um die Verbuchung von Transaktionen und die Speicherung der entsprechenden Daten. Dies erfolgt in einem „Distributed Ledger“, einem „dezentralen“, genauer einem „verteilten“ oder „verbreiteten Kontobuch“. Nun gibt es eigentlich zunächst mal gute Gründe, Daten stets an zentraler Stelle zu speichern. Denn damit schafft man einen eindeutigen, einheitlichen und für alle sichtbaren Zugang, der einen schnellen Zugriff ermöglicht. Wir kennen dies von vielen Anwendungen im Alltag – sei es der Katalog einer Bibliothek oder ein zentrales Katasteramt, in dem alle Grundstückseigentumsverhältnisse zusammengeführt werden – sowie auch von der klassischen Client-Server-Struktur aus der IT. Änderungen und Neuanlagen werden stets an einer zentralen Stelle vorgenommen. Dies sorgt für eine hohe Effizienz.

Blockchain: dezentral und distribuiert anstatt eines Gatekeepers

Eine dezentrale oder distribuierte Speicherung von Daten bedeutet hingegen, dass diese eben nicht nur an einer Stelle abgelegt, sondern an mehrere oder alle Teilnehmer eines Netzwerkes „verteilt“ werden. Jeder Teilnehmer erhält (meistens) also ein komplettes und identisches Abbild der Daten. Wird hier eine Ergänzung vorgenommen, so muss diese dann über das gesamte Netzwerk ausgebreitet werden, damit im Anschluss wieder alle auf dem gleichen Stand sind. Die Vorteile dieses Verfahrens liegen darin, dass einerseits somit ein höherer Schutz gegen Datenverlust errichtet wird. Denn wenn einer der Netzwerkteilnehmer ausfällt und die Daten verliert, können diese ja immer noch über die übrigen Teilnehmer wiederhergestellt werden. Dies ist ein Vorteil gegenüber der Zentralisierung: Fällt hier die zentrale Stelle aus – etwa aufgrund einer Naturkatastrophe – sind die Daten unwiederbringlich vernichtet, sofern nicht zuvor ein sicheres „Update“ erstellt wurde.

Keine Machtkonzentration durch Disintermediation

Andererseits bedeutet eine derartige Netzstruktur auch, dass die Verfügungsgewalt verschoben wird. Die zentrale Stelle hat nicht mehr die alleinige Macht im System, sie wird als „Gatekeeper“ sogar eliminiert. Stattdessen können nun die einzelnen Netzteilnehmer gleichberechtigt den Zugang verwalten. Bei der Errichtung des Bitcoin-Systems ging es vor allem um dieses Aufbrechen der Konzentration von Macht an nur einer Stelle. Unter der Einwirkung der Finanzkrise 2008 wollte man sich nicht mehr dem als „Macht missbrauchend“ empfundenem zentralen Bankensystem unterwerfen, sondern dessen Aufgaben „demokratisieren“, diesem Verständnis nach also „dezentralisieren“. Wenn wir heute vom „disruptiven Charakter“ der Blockchain-Technologie sprechen, so ist damit vor allem gemeint, auf diese Weise die Verhältnisse auf den Märkten zu sprengen und „von unten“ neu zu ordnen.

Problem: wie kann man zentrale Aufgaben effizient dezentral abarbeiten?

Will man zentrale Institutionen durch eine dezentrale Organisation ersetzen, so stellt sich die Frage, wie dann deren ursprüngliche Aufgaben in Zukunft bewältigt werden sollen. Da es bei Blockchain immer um die Abwicklung von Transaktionen geht, steht man dann vor dem Problem, wie die Rechtmäßigkeit und Validität der Transaktionen gewährleistet werden soll und wie sicherzustellen ist, dass ein einzigartiges Gut nicht zweimal übertragen beziehungsweise bezahlt wird. Wer soll dabei die Funktion der „Clearing-Stelle“ übernehmen, wenn es keinen zentralen Akteur mehr gibt, dem man diese Aufgaben „vertrauensvoll“ übertragen kann?

Anreize für das Netzwerk

Die Lösung liegt eben in einer konsequenten dezentralisierten Übertragung und Verpflichtung der Netzwerkteilnehmer, eigenständig diese Leistung für das Netzwerk zu erbringen. Damit ist es nun deren Aufgabe, die einzelnen Transaktionen zu überprüfen sowie sicherzustellen, dass die Vertragsbedingungen erfüllt und die Vorgänge „formal“ korrekt und lückenlos verbucht wurden.
Damit stellt sich die Frage, warum die einzelnen dezentral Beteiligten diese Aufgabe übernehmen sollten bzw. wie man diese dazu motivieren könnte. Bei Bitcoin wird dies mit der Geldschöpfung verknüpft. Alle, die an der Verifizierung der Transaktionen teilnehmen, habe die Chance dadurch Bitcoins zu gewinnen. Dazu muss die entsprechende Überprüfungsaufgabe vollumfänglich erledigt sein, im Anschluss daran beginnt der Rechenprozess für das Mining. Dazu muss ein kryptografisches Rätsel gelöst werden, was nur mittels hoher Computerrechenleistung erfolgen kann. Nur derjenige „Miner“, dem dies als erstes gelingt, erhält seine „Belohnung“ in Form von neuen Bitcoins.

Blockchain geht auch ohne „Mining“

Dieses – doch sehr abstrakte Verfahren – muss aber nicht grundsätzlich Bestandteil einer Blockchain-Lösung sein, insbesondere dann, wenn es, im Gegensatz zu Bitcoin, nicht auch zum Ziel hat, neues „Geld“ in Umlauf zu bringen. Sofern es nur um die Überprüfung der Validität einer Transaktion geht, etwa für die sogenannten „Smart Contracts“, kann hierfür auch ein deutlich vereinfachtes Vorgehen genügen. Letztlich geht es ja dann nur um die Motivation der Teilnehmer, an der Verifizierung mitzuwirken. Theoretisch denkbar wäre etwa auch, Belohnungen an alle gleichmäßig zu verteilen oder, wenn dies nicht Anreiz genug ist, zufällig einen am Verifizierungsprozess beteiligten auszuwählen, also einen Preis gewissermaßen zu „verlosen“. Die Aussicht auf einen möglichen Gewinn würde dann unter Umständen bereits genügen, um genügend Interessenten zu finden.

Motivation durch Teilnahmerechte statt Kryptogeld

Tatsächlich gibt es heute bereits Ansätze, die völlig auf das, in dieser Form ja sehr energieintensive und letztlich damit Ressourcen verschwendende, Mining komplett verzichten. Anreize, sich an der Funktionsweise des Systems zu beteiligen, könnten auch schlichtweg dadurch gegeben werden, dass eine eigene Partizipation nur dann möglich ist, wenn man sich zuvor an der Verifizierung vorangegangener Transaktionen beteiligt hat. Es geht also auch durchaus ohne herkömmliches „Mining“, das letztlich nur eine Besonderheit der existierenden Blockchain-basierten Kryptowährungen ist.

Blockchain: wie ein Reisverschluss

Sind die Transaktionen verifiziert, werden sie schließlich in die Blockchain geschrieben. Diese muss man sich dabei wie einen Reisverschluss vorstellen: Ist ein Zahn beschädigt, lässt sich dieser nicht mehr öffnen oder schließen. Genauso ist es mit den Transaktionen, die in Blöcke zusammengefasst in die Kette „geschrieben“ werden, dabei muss jedes Glied exakt an das vorangegangene Glied „passen“. Die erweiterte Blockchain wird dann im System an das Netzwerk verteilt. Eine Änderung oder Manipulation ist dann nicht mehr möglich. Im Gegensatz zur zentralen Speicherung reicht es nicht, nur eine Datenquelle zu „hacken“, eine Änderung muss auf jeder verteilten Version der Blockchain gleichzeitig erfolgen. Somit sind die Transaktionen weitgehend geschützt vor nachträglichen Anpassungen sicher und verlässlich dokumentiert.

Blockchain & Smart Contracts

Anwendungsgebiete jenseits von Bitcoin & Co ergeben sich vor allem bei den „Smart Contracts“. Darunter versteht man technische Transaktionsprotokolle, welche die Einhaltung zuvor definierter Vertragsbestimmungen überwachen sowie autonom und mechanisiert die vereinbarten Konsequenzen ausführen. Menschliches Eingreifen etwa bei Verletzungen der Vertragsrechte durch eine Partei ist damit nicht mehr notwendig. Mit der Verwendung der Blockchain-Technologie wird gewährleistet, dass Smart Contracts auf dezentral verifizierte Daten zugreifen können, um den Eintritt von Vertragsereignissen zu überprüfen und auf dieser Grundlage dann die festgeschriebenen Handlungen zu exekutieren. Anwendung findet dieses Konzept bereits heute im Bereich der Finanztransaktionen und bei der Abbildung von Copyright-Lizenzen. Ein typisches Einsatzszenario könnte auch ein dezentralisierter Energiemarkt sein, bei dem einzelne Haushalte ihre überschüssige Energie, beispielsweise produziert durch die eigene Solaranlage auf dem Dach, in einem dezentral organisierten Netzwerk anböten. Andere Teilnehmer könnten bei Bedarf diesen Strom direkt und ohne Vermittler einkaufen, die Transaktionsbedingungen sowie dann auch die Transaktion selbst würde auf einem dezentralen Distributed Ledger vermerkt und wäre damit unveränderbar und transparent verbucht. Die Lieferung des Stroms und die entsprechende Bezahlung erfolgen dann komplett automatisiert.

Blockchain & Distributed Ledger – keine Neuerfindung der Digitalisierung

Wichtig ist es, um das Potenzial der Technologie einzuschätzen zu können, zu erkennen, dass Blockchain und Distributed Ledger keine bahnbrechende Neuerfindung der Digitalisierung sind. „Distribuiert“ ist nicht per se „besser“ als zentral, sondern nur in bestimmten Anwendungsfällen eine geeignete Option. Grundsätzlich muss man immer die Frage stellen: Wieso brauche ich zur Lösung eines bestimmten Problems eine Blockchain, und warum kann man dieses Ziel nicht über eine herkömmliche zentrale Datenbanklösung erreichen?

Fragwürdige Sinnhaftigkeit von dezentralisierten Supply-Chain-Projekten und Private Blockchains

Viele der derzeitigen Blockchainanwendungen zielen auf den Supply-Chain-Bereich und versuchen die Lieferkette und die jeweiligen Übergabepunkte von Produkten abzubilden. Wer schon Mal eine Sendungsnachverfolgung eines Logistikunternehmens online genutzt hat, weiß, dass dies auch sehr gut ohne Blockchain auf dem zentralen Portal des Spediteurs erfolgen kann. Ist das Misstrauen diesem gegenüber wirklich so hoch, dass es dafür einer stets deutlich aufwändigeren Blockchain-Lösung bedarf? Auch bei sogenannten „private Blockchains“, die meist durch einen wiederum zentralen Anbieter bereitgestellt und dominiert werden, stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit, war doch ein entscheidendes Ziel der Entwicklung, gerade Machtkonzentration zu verhindern. Selbst wenn eine vermeintlich dezentrale Softwarelösung zum Einsatz kommt, bedeutet das dann eben gerade nicht, dass in diesem Fall auch der Gatekeeper ausgeschaltet wird.

Die meisten Blockchain-Projekte sind vermutlich völlig überflüssig und unsinnig

Es ist bezeichnend, dass gerade diese beiden Ansätze, oft in Kombination, vermutlich an die 90% der aktuellen Blockchain-Projekte ausmachen. Vielleicht ist es aber auch ein Hinweis darauf, dass wir einen unverstellten Blick auf die Technologie benötigen, der die Notwendigkeit einzelner technischer Bestandteile kritisch beäugt und sich nicht hinter Wortblasen und Digitalisierungs-Blabla versteckt. Erst dann erscheint es möglich, das wirkliche Potenzial von Blockchain und Distributed Ledger richtig zu erfassen. Eine Reduzierung überflüssiger technischer Komplexität in der Diskussion kann dabei nur helfen.

 

Weitere Informationen zu Blockchain finden Sie hier:

Vortrag von Prof. Dr. Andreas Wagener, Hochschule Hof am 17.10.2018:
„Willkommen in der Matrix! Wie KI und Blockchain in der Industrie 4.0 zusammenwachsen“

 

Vortrag von Prof. Dr. Andreas Wagener, Hochschule Hof am 22.10.2016 Industrie 4.0, Datenökonomie und Künstliche Intelligenz: Wie Daten und Algorithmen Wirtschaft und Gesellschaft verändern:

 

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Ein Gedanke zu „Blockchain ohne Mining. Wie der Blick auf Bitcoin Blockchain unnötig verkompliziert

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