In China spielen vor allem seit der Pandemie „live-Shopping“-Events im Netz eine große Rolle. Immer öfter übernehmen dabei „Virtual Beings“, insbesondere virtuelle Influencer, die Moderation oder andere wichtige Funktionen bei der Durchführung dieser Veranstaltungen. Vor allem mit dem Blick auf die Diskussion um die Entstehung eines „Metaverse“, dass physische und virtuelle Welt weiter verzahnt, könnte daraus ein Milliardenmarkt entstehen.
Im Zuge der Covid-Pandemie hat sich insbesondere in China der Trend des “live-eCommerce“ verstärkt, der dort im Jahr 2022 auf ein Volumen von 43,2 Milliarden Yuan geschätzt wird (etwa €6Mrd.) Dieser lässt sich in etwa als „digitales Teleshopping“ umschreiben und umfasst oft eine intensive Interaktion mit dem Publikum. Zuschauer können „live“ Fragen zu präsentierten Produkten stellen. Grundsätzlich lässt sich dies auch in den virtuellen Welten realisieren, wie zum Beispiel der chinesische Handelsriese AliBaba mit seinem Ansatz auf der Plattform TaoBao zeigt. Dort entstehen eigene dreidimensionale virtuelle Shopping-Umgebungen, die per Avatar besuchbar und „erlebbar“ sind. Die einzelnen Verkaufsabteilungen und Geschäfte sind mit – virtualisierten – Mitarbeitern besetzt, welche die Kunden in „Echtzeit“ beraten. Zu festen Terminen sollen zudem – analog zu dem bereits praktizierten „gewöhnlichen“ online-Live-Shopping – interaktive Verkaufsveranstaltungen und Produktpräsentation stattfinden.
Virtual Beings als Moderatoren von live-Events
Der live-eCommerce-Markt China wird stark durch Influencer geprägt, die den Sprung vom reinen „Creator“ zum „Moderator“ bzw. „Host“ geschafft haben. Grundsätzlich ist hier ein Einsatz von Virtual Beings ebenfalls denkbar. In der Tat gibt es hierfür bereits erste Beispiele: Der reichweitenstarke (und inzwischen von der Bildfläche verschwundene) Live-Streamer und Influencer Li Jiaqi führte bereits 2020 gemeinsam mit dem „Virtual Idol“ Luo Tianyi, das fast 4,6 Millionen Follower auf Weibo (gewissermaßen das chinesische Twitter), aufweist, durch eine Verkaufsshow auf Taobao, vor fast 3 Mio. Zuschauern. Die ebenfalls zu Alibaba gehörende E-Commerce-Plattform Tmall führte im Anschluss daran ein weiteres Live-Streaming-Event durch, bei dem der „menschliche“ Part von Li Jiaqi durch die ebenfalls nur virtuell existierende Yuezheng Ling ersetzt wurde und somit die Moderation nunmehr vollständig in den Händen der Virtual Beings lag. Während damals die Interaktion mit den Virtual Idols vorwiegend auf der Produktion vorgefertigter, „programmierter“ Dialoge beruhte, kommen für derartige Live-Shopping-Events in jüngster Zeit verstärkt eigenständige virtuelle „Hosts“ zum Einsatz, die im einfachsten Falle auf dem technischen Niveau simpler Chatbots agieren, bei denen aber potenziell auch leistungsfähigere, selbstlernende Technologien zum Einsatz kommen können – wie etwa das Beispiel Dong Dong zeigt, das chinesische Virtual Being, das zur Bewerbung des Olympia-Merchandise entwickelt wurde.
„Austausch“ von unliebsamen Influencern durch Virtual Beings?
Hinter dieser Entwicklung dürfte, so wird vermutet, auch staatliches Kalkül liegen. Einige der menschlichen Live-Streamer und Influencer sind sehr schnell sehr reich und mächtig geworden, was den Machthabern in Peking wohl ein Dorn im Auge war. Zuletzt sind nicht wenige dieser chinesischen Internetstars – wie Li Jiaqi – aus der Öffentlichkeit komplett verschwunden – an ihre Stelle treten stattdessen vermehrt Virtual Beings.
Virtual Beings mit Plattenvertrag
Aber ebenso andernorts, außerhalb Chinas, werden virtuellen Wesen in der produktbezogenen Live-Kommunikation eingesetzt: Der koreanische Konzern LG Electronics entwickelte die virtuelle DJane und Songwriterin Reah Keem, die für das Unternehmen auf der Messe CES Electronics auftrat und dort dessen neues Laptop präsentierte. LG beschränkte sich aber nicht auf diese punktuelle Maßnahme, sondern arbeitete im Anschluss an den Event weiter kontinuierlich an der Etablierung der Kunstfigur und ließ sie etwa auf verschiedenen Social-Media-Präsenzen über ihren Alltag „berichten“. Inzwischen erhielt sie zudem medienwirksam einen eigenen Plattenvertrag. Marken können also auch eigene Virtual Beings erschaffen, die je nach Bedarf für die Markenführung herangezogen werden, ansonsten aber ein unabhängiges Eigenleben führen können, womit Authentizität und Glaubwürdigkeit generiert werden soll.
Virtual Beings als virtuelle Influencer im Rahmen von konzertierten Social Media-Aktionen
Samsung stellte dem englischsprachigen Publikum zum Jahresbeginn 2022 sein neues Smartphone Galaxy S22 im Rahmen eines Online-Live-Events vor. Als Co-Host, neben dem TikTok Creator Liam Kalevi begrüßte der „virtuelle Influencer“ Zero die Zuschauer. Er interagierte mit seinen menschlichen Kollegen, indem er „aus seinem Bunker im Metaverse“ mit einer virtuellen Version des neuen Samsung-Mobiltelefons ein Selfie mit diesen aufnahm, was anschließend breit auf Social Media und in einschlägigen Pressekanälen geteilt wurde. Selbst wenn es sich hier offensichtlich nicht um eine KI handelte – zu eloquent führte der im Manga-Stil entworfene Moderator durch die Veranstaltung –, sondern wohl eher um einen Avatar, der die Mimik des menschlichen Sprechers jedoch perfekt in Echtzeit auf das virtuelle Pendant übertrug, zeigt dies doch, dass sich auch im westlichen Teil der Welt neue Einsatzbereiche für Virtual Beings im Live-Commerce eröffnen.
Virtual Beings und das Metaverse
Virtual Beings werden auch angesichts der anhaltenden Diskussion um das Metaverse zunehmend relevant – gerade auch im Marketing- und Commerce-Kontext. Der Trend zur weiteren „Virtualisierung“ dürfte erst am Anfang stehen. Sicherlich kann man das Nutzerverhalten in Asien und insbesondere China nicht ohne weiteres mit der Situation hierzulande vergleichen. Aber es wäre fahrlässig, diese Entwicklungen nicht im Auge zu behalten.
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