Im zweiten Teil der Serie zum „Strategischen Influencer-Marketing“ setzen wir uns mit der Fragmentierung der Netzgesellschaft und der daraus resultierenden Notwendigkeit und Chance einer dezentralen Ansprache auseinander. Influencer-Marketing muss nicht zwingend durch „Web-Prominenz“ erfolgen, sondern kann zielgerichtet gerade auch in der Nische funktionieren
Tribalisierung und Influencer-Marketing
Seit geraumer Zeit wird in der Soziologie und seit neuerem auch im Marketing von der „Tribalisierung“ der Interessens- bzw. Zielgruppen gesprochen. Diese „Stammesbildung“, die sich in einem Zusammenschließen von einzelnen Gruppen innerhalb eines größeren Systems (z.B. „der Gesellschaft“, „die Jugend“) bei nicht selten gleichzeitiger Abgrenzung von diesem äußert, führt zu einer Fragmentierung und Partikularisierung. Insbesondere die Sozialen Medien haben es ermöglicht, sehr schnell und einfach „peer groups“ zu etablieren, die – womöglich weit entlegenen – Stammesgesellschaften („Tribes“) in vielen Punkten sehr ähnlich sind.
Influencer als Häuptlinge?
Stammesmitglieder erscheinen – indem sie die gleichen Interessen und Werte teilen – in dieser Welt als „Community Mitglieder“, „Freunde“, „Follower“ und „Abonnenten“ / „Liker“. Im Kontext des Influencer Marketings spiegelt sich dies etwa in der treuen Fokussierung der Anhängerschaft der Multiplikatoren wider – die Fans des Youtubers LeFloid geben sich etwa selbst den etwas martialischen Titel „LeFloid Army“. Die Influencer nehmen in diesem Szenario so etwas wie die Stellung des „Stammesführers“ oder „Häuptling“ ein, dem der Stamm bedingungslos vertraut. Daran bemisst sich wiederum deren Eignung als Meinungsführer und Multiplikatoren im Marketing.
Buchverlagsbranche als Vorreiter des Influencer-Marketings?
Dieser Wirkmechanismus ist jedoch keinesfalls auf Masse und Reichweite beschränkt. Dass dies auch im kleinen Rahmen funktionieren kann und es keines großen Publikums bedarf, um über gezieltes Influencer-Marketing in die Kaufentscheidungsfindung einzugreifen, zeigt eindrucksvoll die Buchverlagsbranche, vor allem im Bereich der Belletristik: Schon seit jeher ist es im Verlagsmarketing üblich, Rezensionsexemplare kostenlos potenziellen Rezensenten zu überlassen. Waren dies in der Vergangenheit meist Journalisten, von denen man sich eine möglichst wohlwollende Besprechung in einer Zeitung oder Zeitschrift erhoffte, setzt man heute hierfür verstärkt auf die Rekrutierung einflussreicher Leser – also tatsächlicher oder potenzieller Kunden.
Digitale „Lesezirkel“ als Fundstelle für potenzielle Influencer
Dabei können die Verlage heute, neben einzelnen Buchbloggern, auch auf groß angelegte Buch-Communities im Netz zurückgreifen, auf denen sich Leser und Buchliebhaber wie in einem „digitalen Lesezirkel“, austauschen. Findige Plattformen, wie etwa Lovelybooks.de oder das zum Ullstein-Verlag gehörende vorablesen.de haben hier ein Geschäftsmodell erkannt, indem sie interessierten Verlagen gehen Bezahlung den Zugang zu Communitymitgliedern ermöglichen und Rezensionen durch diese zentral koordinieren. Die Einbindung der Mitglieder solcher Netzplattformen für eine Buchbesprechung ist inzwischen Gang und Gäbe.
Influencer-Leistung ohne Kosten
Für die Verfassung und Platzierung der Rezension fließt in der Regel an den Rezensenten kein Geld, dieser erhält jedoch kostenlos das Buch. Eine Garantie, dass dabei auch eine gute und damit tatsächlich verkaufsfördernde Kritik zustande kommt, gibt es nicht. Eine entsprechende direkte Aufforderung der Plattformbetreiber oder der Verlage würde sicherlich kontraproduktiv wirken. Dennoch besteht die Möglichkeit, auf Seiten der Communitybetreiber, auch ohne die „Netiquette“ zu verletzen, in diesen Prozess im Sinne der Auftrag gebenden Verlage einzugreifen und die Erfolgswahrscheinlichkeiten solcher Maßnahmen zu erhöhen.
Qualität vor Quantität
Beispielhaft kann hier das Projekt namens „The Underground Book Club“ (UGBC), angeführt werden: Um die Neuerscheinung mit dem Titel „Dracula in Love“ gezielt zu vermarkten, identifizierte man aus einem bestehenden Profilpool von 50.000 registrierten Nutzern potenzielle Influencer anhand ihrer Leseinteressen und ihrer Reichweite in den Sozialen Medien. Diese wurden aufgefordert, sich als „Brand Ambassador“ zu bewerben. Aus den ein-gegangenen Bewerbungen filterte man in weiteren aufeinander aufbauenden Runden schließlich 55 Kandidaten heraus, die die zuvor definierten Zielgruppenkriterien nahezu perfekt erfüllten und deren bisheriges Communityverhalten auf eine höhere Wahrscheinlichkeit einer positiven Besprechung hindeutete. In der Folge wurde dieser Personenkreis mit Vorabdrucken sowie weiterem exklusiven Insiderwissen und entsprechendem Kommunikationsmaterial zur Verbreitung über die jeweils eigenen Social Media Kanäle ausgestattet. Die somit installierten Multiplikatoren konnten auf diese Weise dann zielgruppenaffin, mit geringen Streuverlusten und hoher Authentizität agieren – laut Beteiligten ein großer Erfolg, auch mit Blick auf das Preisleistungsverhältnis, denn die Influencer erhielten – auch aus Gründen der Glaubwürdigkeit – kein Geld für ihren Einsatz, sondern waren mit der herausgehobenen Rolle und dem übertragenden Insiderwissen offenbar ausreichend zufrieden gestellt.
Das Prinzip „Amazon-Vine“
Auch Amazon ist auf diesem Feld mit seinem Angebot „Vine“ aktiv. Dabei kann der US-Handelsriese auf seine weit verzweigte Plattform sowie auf das dortige rege Rezensionsaufkommen zurückgreifen. Interessierte Unternehmen können hier Besprechungen ihrer Produkte „bestellen“. Amazon beschafft dann aus seiner großen Rezensentendatenbank die adäquaten Produkttester. Grundsätzlich – darauf legt Amazon wert – sind diese in ihrem Urteil frei, könnten also theoretisch auch eine negative Kritik verfassen und publizieren. Die Vine-Rezensionen werden mit einem grünen Logo markiert. Schaut man sich diese genauer an, fällt auf, dass hier tatsächlich jedoch nur wenig negative Produktkritiken zu finden sind.
Selbstregulierendes System wohlwollender Rezensionen
Neben einer gezielten Auswahl der Rezensenten liegt das sicherlich auch darin begründet, dass die besprochenen Produkte von den Testern behalten werden dürfen. Da Amazon schon seit geraumer Zeit das Vineprogramm auch auf andere Produkte, insbesondere im Elektronikbereich ausgeweitet hat, besteht ein nicht zu unterschätzender Anreiz, weiterhin dem Kreis der Vine-Mitglieder anzugehören, um auch in Zukunft in den Genuss dieser kostenfreien Produkte zu gelangen. Insofern steht also auch die unausgesprochene Maßgabe im Raum, keine vernichtenden Bewertungen abzugeben, was den Erwartungen der Werbung treibenden Unternehmen sicherlich entgegenkommt. Wichtiges Kriterium bei der Auswahl der Rezensenten ist ihre Verankerung und ihr Status in der Community, der sich bei Amazon anhand der Anzahl der Rezensionen und deren Bewertungen durch andere Plattformnutzer bemisst. Es ist zu vermuten, dass darüber hinaus auch weitere Daten basierte Analysen in die Entscheidung, wer aus dem Kundenkreis als „Influencer“ genutzt werden kann, miteinfließen.
Daten als Grundlage des strategischen Influencer-Marketings
Während Amazon dabei insbesondere auf seine in Fülle selbst erhobenen Produkt- und Nutzerdaten zurückgreifen kann, ist grundsätzlich auch denkbar, hier verfügbare externe Daten, insbesondere aus dem Social Media Umfeld zu nutzen oder mit diesen zu kombinieren. Wie damit auch andere, ggf. kleinere Unternehmen ohne die Infrastrukturen, über die Amazon verfügen, ebenfalls ein zielgerichtetes, Daten basiertes Influencer-Marketing betreiben könnten, soll im nächsten, dritten, Teil der Reihe thematisiert werden.
Hier geht es zu Teil 3 der Serie.
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