Im Sommer 2014 wurden die Facebook Timelines und andere Newsstreams sozialer Medien weltweit von Videos geflutet, die Menschen zeigten, die mit Eiswasser gefüllte Eimer über ihren Köpfen leerten. Den Hintergrund dieses Phänomens bildete die sogenannte „ALS Ice Bucket Challenge“ (ALSIBC). Damit sollte auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam gemacht werden. So plötzlich wie das Phänomen erschien, so schnell war es jedoch auch wieder verschwunden. Mitte September ebbte die Welle schon spürbar ab. Spätestens im Oktober 2014 war in den sozialen Netzwerken nichts mehr davon zu sehen. Im Nachgang stellt sich nun die Frage – was blieb? Kann die ALSIBC als kommunikativer Erfolg betrachtet werden? Wurden die ursprünglichen Ziele erreicht? Sind die Botschaften, die ursprünglich übermittelt werden sollten, aufgenommen und verstanden worden? Blieben sie haften? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus für virales Marketing ziehen?
Massenphänomen ALS Ice Bucket Challenge
Die ALSIBC entwickelte sich zum weltweiten viralen Massenphänomen. Laut Facebook wurden im Kernzeitraum des Hypes, von Juni bis Anfang September 2014, mehr als 17 Mio. Videos mit Bezug zur ALSIBC geteilt, die angeblich insgesamt mehr als 10 Milliarden mal angesehen wurden und damit 440 Mio. Nutzer erreichten. Befeuert wurde dies auch durch die aktive Teilnahme zahlreicher prominenter Protagonisten aus Sport, Unterhaltung und Politik. Die ALSA verzeichnete im Zuge dessen ein deutlich gewachsenes Spendenaufkommen von €41,8 Mio. vom 29.07. bis 21.08.2014 gegenüber von €2,1 Mio. im Vorjahreszeitraum. Auch in Deutschland stieß die ALSIBC auf große Resonanz. Von Sigmar Gabriel, über Manuel Neuer und Schauspielern wie Matthias Schweighöfer beteiligte sich auch viel politische, sportliche und pop-kulturelle Prominenz.
Virales Marketing: Wie kann virale Kommunikation langfristig wirken?
Anhand dieses viralen Phänomens der ALSBIC untersucht eine Studie der Hochschule Hof, wie virale Kommunikation und virales Marketing auch langfristig wirken kann und wo spezifische Grenzen liegen. Dabei wurde keine Untersuchung im Rahmen der Sozialen Netzwerkanalyse durchgeführt, mit der die Verbreitungswege und Einflüsse einzelner Netzwerkteilnehmer nachvollzogen werden. Hierfür lieferte wie sooft Facebook für sein eigenes Netzwerk bereits fundierte Erkenntnisse. Stattdessen stand hier die kommunikative Wirkung, die Perzeption durch die Adressaten der viralen Maßnahme, im Zentrum. Der Fokus bei den Probanden lag auf der Zielgruppe der unter 30jährigen.
Kein „Mitmach“-Thema, sondern eher „Voyeur“-Thema
Die Ergebnisse der Untersuchung, die im wissenschaftlichen Fachmagazin „transfer“ veröffentlicht wurden, zeigen unter anderem, dass es sich bei der ALS-Challenge nicht um ein „Mitmach“-Thema, sondern eher um ein „Voyeur“-Thema handelte. Trotz ihrer überaus großen Bekanntheit nahmen letztlich weniger als 10% aktiv an der ALSIBC teil. Damit haben auch nur maximal – da nicht jeder aktive Teilnehmer auch tatsächlich nominiert war – die Hälfte der Nominierten sich in Form von eigenen Videos, Spenden oder anderen Aktionen beteiligt. „Virale Streuverluste“ mussten zudem durch die „passive Aktivität“ etwa eines Drittels dieser Nominierten hingenommen werden, die ihrerseits die Nominierungen nicht fortführten.
Treiber war nicht die „Crowd“, sondern Influencer
Die Durchbrechung dieser erwünschten Kettenreaktion stellt ein grundsätzliches Problem bei der Verbreitung viraler Botschaften dar. Die andauernde, perpetuierende Aktivierung der Rezipienten erscheint als wichtigster kritischer Erfolgsfaktor im viralen Marketing. Gleichwohl weist diese Analyse der ALSIBC auf eine Widerlegung dieser Annahme, zumindest in Teilen, hin. Trotz der sehr begrenzten Aktivierung der Masse, hat die ALSIBC erheblich zum Bekanntwerden von ALS beigetragen. Der Treiber war aber offensichtlich nicht, wie womöglich angenommen, die Crowd, sondern ist viel eher bei der zahlreich beteiligten Prominenz zu suchen, die dem Thema den notwendigen Nährboden verschaffte. Aus diesen Ergebnissen ließe sich somit die Hypothese ableiten, dass zukünftige derartige Kampagnen weniger durch aktives Einbringen der Nutzer schnell einen hohen Bekanntheitsgrad erreichen könnten, sondern möglicherweise die Verbreitung über Multiplikatoren wie prominente Persönlichkeiten und Influencern zielführender ist.
Die detaillierte Studie finden Sie in der Ausgabe Nr. 4/2015 der Zeitschrift „transfer“
Quelle: Andreas Wagener, Kristin Thoma (2015): Analyse viraler Kampagnen am Beispiel der ALS Ice Bucket Challenge. In: transfer. Werbeforschung und Praxis, Nr. 04 Dezember 2015, S. 29 – 33