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Plattformregulierung durch Dateneigentum: den Überwachungskapitalismus umkehren

Plattformregulierung Daten_Andreas Wagener

Plattformregulierung Daten_Andreas Wagener

Die großen digitalen Plattformen bestimmen nicht nur die Regeln auf ihren Märkten, sondern wirken zunehmend auch auf die gesellschaftliche Sphäre ein, mit oft als äußerst schädlich empfundenen Resultaten, wie etwa der Schaffung von Filterblasen und „Rabbit Holes“ oder der unkontrollierten Verbreitung von Fake News. Immer stärker werden daher die Rufe nach einer Beschränkung der Plattformmacht, nach Plattformregulierung oder sogar Zerschlagung der dahinterstehenden Konzerne laut. Dabei stellt sich die Frage, ob entsprechende Maßnahmen nicht an anderer Stelle ansetzen sollten – etwa beim „Treibstoff“ der Plattformökonomie, den Daten.

Betrachtet man die herkömmlichen regulatorischen Instrumente der Kartellwächter, so drängt sich der Eindruck auf, dass diese offenbar nur bedingt geeignet sind, der Plattformproblematik zu begegnen. Es scheint so, als versuche man die Probleme des 21. Jahrhunderts mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts zu lösen. Schließlich liegen doch die Gefahren nicht allein im klassischen Marktversagen oder in einem rechtlich leicht sanktionierbaren situativen Fehlverhalten des Managements. Vielmehr ist es die grundsätzliche technologische Beschaffenheit der Plattformen, die Staaten – ökonomisch wie gesellschaftlich – vor Herausforderungen stellen. Das legt den Schluss nahe, dass Ansätze der Plattformregulierung womöglich auf anderer Ebene als der herkömmlichen Kartellrechtsgrundlage gefunden werden müssen.

Das etwas schal gewordene Mantra von den Daten als dem neuen Gold

Das vor nicht allzu langer Zeit inflationär vorgetragene Mantra von den Daten als dem „neuen Gold“ oder dem „Öl des 21. Jahrhunderts“, dürfte uns allen noch gut in den Ohren klingen. Schon damals fragte man sich, warum daraus dann nicht entsprechende Verhaltensweisen folgten. Stattdessen räumen wir den großen Techplattformen in aller Regel bis heute weiterhin unentgeltlich die Verwertungsrechte an den Daten ein. Im Kontext der generativen KI und ihrem Hunger nach Trainingsdaten – und der Frage nach einer entsprechenden Vergütung der Urheber, gewinnt dieser Gedanke wieder an Bedeutung. Aber sofern die Plattformen ihre Macht tatsächlich aus ihren Daten, den Vernetzungen und den algorithmischen Verarbeitungsfähigkeiten beziehen, sollte dann Regulierung nicht eben genau hier ansetzen? Statt sich also regulatorisch eher an den Auswirkungen zu orientieren, wäre es dann nicht vielversprechender, sich hingegen den Ursachen der Plattformmonopole zuzuwenden?

Überwachungskapitalismus als Ausgangspunkt der Plattformregulierung

Analog zu den Entflechtungsbestrebungen geraten damit erneut die Eigentumsrechte in den Fokus, wenngleich auch nicht am Kapital im herkömmlichen Sinne: Der von Shoshana Zuboff geprägte Begriff des Überwachungskapitalismus („Surveillance Capitalism“) beschreibt die Vorgehensweise der Plattformen, aus den permanent gesammelten Nutzerdaten automatisiert marktoptimale Strategien abzuleiten und diese, indem sie das Verhalten des Einzelnen manipulieren, zur Gewinnmaximierung zu nutzen. Dies führt zu einer tendenziellen Entmündigung der Nutzer und trägt im Kern, wenn man dieser Ansicht folgt, demokratiefeindliche, totalitäre Züge. Die zu Daten gewordenen „menschlichen Erfahrungen“ geraten damit zum kostenlosen Rohstoff für Produktion und Verkauf, die wiederum das Treibmittel zur Funktionsweise der Plattformen und die Grundlage ihres Geschäftsmodells bilden. Die Plattformen versuchen ihren Zugang zu den Produktionsmitteln stetig zu optimieren und greifen dabei tief in die persönliche Sphäre der Nutzer ein, indem Verhaltenswahrscheinlichkeiten nicht nur kalkuliert werden, sondern auch für entsprechende Beeinflussung im Sinne der Plattforminteressen – durch Nudging – genutzt werden. Ein Ausscheren aus dieser Logik ist nicht möglich, zu groß sind die „Lock-In-Effekte“ und geschaffenen Abhängigkeiten. Die für die Funktionsweise eines demokratischen und pluralistischen Gemeinwesens zentralen Prozesse individueller Autonomie werden damit ausgehebelt. In der Summe verschafft dies den Plattformen eine Macht innerhalb der digitalen Gesellschaften, die nicht demokratisch legitimiert, nicht transparent und der gesellschaftlichen Kontrolle entzogen ist.

Wenn aber die Logik des Überwachungskapitalismus zutrifft und die Macht der Plattformen auf die Auswertung der Nutzerprofile und Nutzerbeziehungen zurückzuführen ist, sollte dann nicht statt der gegenwärtigen Fokussierung auf Marktanteile vielmehr das Eigentum an den Daten konsequenterweise in den Fokus der Betrachtung rücken, wenn wir über Plattformregulierung sprechen? Im Moment tauschen wir diese als digitale Naturalien gegen die Nutzungs- und Partizipationsrechte an den Plattformen. Ob wir nun damit noch Kunden oder hingegen bereits Teil des Produktes der Plattformen sind oder schlicht die kostenlose Quelle für den Rohstoff der Plattformökonomie, entscheidet sich damit auch aus unserem datenbezogenen Selbstwertgefühl heraus.

Die Rolle der Daten bei der Plattformregulierung

Ohne Zweifel lässt sich aber eine enorme Diskrepanz zwischen der Profitabilität der Plattformunternehmen und dem Wert, den wir selbst unseren Daten beimessen, ausmachen. Das faktische Monopol vieler Plattformen auf ihren Märkten bezeichnet damit nur ein nachgelagertes Problem. Ermöglicht wurde dies durch die vorausgehende sukzessiv und weitgehend unkontrolliert errichtete Marktmacht bei der Informations- und Datenverarbeitung. Während Karl Marx in der klassischen Ökonomie noch von Arbeit als maßgeblichem Produktionsfaktor sprach, sind in der Plattformökonomie Daten und Algorithmen an diese Stelle getreten. Daraus leitet sich ab, dass Regulierung dann eben auch nicht bei operativen Marktpraktiken oder der regulativen Entflechtung der Plattformunternehmen ansetzen müsste, sondern beim Marktzugang zu den Nutzerdaten.

Dies setzt einerseits voraus, dass persönliche Daten auch konsequent als Wirtschaftsgut begriffen und ebenso behandelt werden. Zum anderen müssen die Rechte an Ihnen auch durchsetzbar sein. Als problematisch erweist sich dabei die spezifische Beschaffenheit von Daten: Sie können als „geistiges Asset“ der Algorithmusökonomie begriffen werden, sie sind „digitale Güter“ und damit „immateriell“ und potenziell unendlich vervielfältigbar. Sie unterscheiden sich daher von herkömmlichen Rohstoffen oder „Produktionsfaktoren“, da sie im Konsum nicht rivalisierend sind, also mehrfach verwendet werden können.

Dateneigentum und Plattformregulierung

Nicht abschließend geklärt zu sein scheint die Frage, wie „Dateneigentum“ eigentlich entsteht und welche ökonomischen Verfügungsrechte daraus abzuleiten sind. In den Rechtssystemen hat dies bislang meist keine entsprechende Berücksichtigung gefunden – in Deutschland etwa wurde ein transaktionsorientiertes Konzept eines Eigentums an Daten im Kontext des Verfassungsgerichtsurteils von 1983 zur Volkszählung gezielt ausgespart und stattdessen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung postuliert, welches sich ausschließlich an den Persönlichkeitsrechten orientiert. So ist immer noch unklar, ob das „Eigentum“ an Daten wie auch deren „Rendite“ ihrem „Erheber“, dem „Aufbereiter“ oder der eigentlichen Quelle zusteht. Die gelebte Praxis der Datenschutzgrundverordnung sieht zwar grundsätzlich ein Zustimmungsrecht der Nutzer vor, wenn Dritte „deren“ Daten nutzbar machen wollen, etwa als „Gegenleistung“ für die Teilnahme an einem Internet-Dienst. In der Regel handelt es sich hier aus Nutzersicht aber um eine binäre Entscheidung: zwischen der Verweigerung, welche oft mit dem Nutzungsausschluss durch den Dienstbetreiber als Konsequenz einhergeht, oder einer vollständigen Rechteübertragung, die zumindest de facto dann auch einer kostenfreien Eigentumsübertragung gleichkommt. Ein graduelles Wertschöpfungssystem, das auch eine Beteiligung an den Wertzuwächsen vorsehen würde, existiert für Daten, anders als für andere „geistige“ Güter (Literatur, Musik, Kunst) derzeit nicht. Unklar bleibt ferner auch, wie in diesem Kontext mit „Objektdaten“, etwa im Internet der Dinge, zu verfahren ist. Bislang hat die Rechtsetzung in den Europäischen Staaten dies weitgehend der privatrechtlichen vertraglichen Vereinbarung überlassen, regulatorische Eingriffe sind bislang nicht zu verzeichnen.

Und doch gibt es bereits diskutierte Ansätze, wie man auf Datenbasis diese Märkte regulieren könnte. Dies ist Gegenstand des zweiten Teils dieses Artikels (Plattformregulierung durch Dateneigentum: Hürden und Ansätze). Demnächst an dieser Stelle.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Artikel „Algorithmic Regulation“ und Dateneigentum: ökonomische und gesellschaftliche Handlungsoptionen der Plattformregulierung, aus dem Sammelband „Die Digitalisierung des Politischen. Theoretische und praktische Herausforderungen für die Demokratie“, herausgegeben von Andreas Wagener und Carsten Stark, Springer VS, 2023

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Mehr zum Thema: Vortrag/Keynote von Prof. Dr. Andreas Wagener: „Von Cyborgs und Digitalen Lebewesen: Wie generative KI&VR menschliches Leben (und Sterben) verändern“:

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