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Künstliche Intelligenz und künstliche Kreativität

KI und Künstliche Kreativität

KI und Künstliche Kreativität

KI und intelligenten Computersystemen wird neben dem maschinellem Lernen zunehmend auch eine weitere, eigentlich exklusiv dem Menschen vorbehaltene Fähigkeit zugeschrieben: Kreativität. Selbstlernende Systeme sind in der Lage „schöpferisch“ tätig zu werden, sie verfassen Texte, komponieren Musik und malen Bilder.

Es spricht einiges dafür, dass man den Ursprung der Geschichte der Künstlichen Kreativität auf diesen berühmt gewordenen Versuch von Google zurückgeführt werden kann: 2012 wurden einer Künstlichen Intelligenz wahllos „Youtube-Stills“, also Einzelbilder aus Youtube-Videos, „vorgelegt“, die diese dann sortieren sollte – und zwar, ohne dass man ihr die entsprechenden Kategorien vorgegeben hatte.

Dieser Vorgang ist in etwa vergleichbar mit einem Szenario, in dem man einem Menschen einen großen Stapel Fotos in die Hand drückt, mit der Bitte, diesen zu sortieren. Auf dessen Frage nach dem „Wie?“ – würde ihm entgegnet: „Denk Dir was aus!“. Die Kriterien hierzu müssten als eigenständig vom Sortierenden festgelegt werden. Vermutlich würde ein Mensch sich dann an bestimmten gemeinsamen Merkmalen orientieren, die er meint, auf den Bildern entdecken zu können, z.B. ähnliche Motive, Farben oder Situationen.

„Autodidaktisches Lernen“ einer KI

Nach einem vergleichbaren Ansatz ging auch das mit Bildern gefütterte künstliche neuronale Netzwerk vor, das Google selbst als Simulation eines kleinen, neugeborenen menschlichen Gehirns bezeichnete. Tatsächlich konnte die KI ähnliche Objekte in den Bildern ausmachen und sortierte diese entsprechend. Dabei entwickelte das System eigenständig Prüfkriterien, indem besonders häufig auftretende Merkmale „übereinandergelegt“ und „verstärkt“ wurden. Anhand der so entstandenen Prüfmuster erfolgte die Kategorisierung von Einzelbildern je nachdem, wie hoch die KI deren Übereinstimmungen mit den Merkmalen der Vergleichsexemplare bewertete.

Auf diese Weise legte das System verschiedene Klassifizierungen fest: Tatsächlich gelang es ihr Menschen auf den Bildern zu identifizieren und sogar Geschlechter zu unterscheiden. Das ist insofern bemerkenswert, als dass der KI das „Konzept“ Mensch überhaupt nicht klar sein konnte. Ohne zu wissen oder zu verstehen, was ein Mensch ist, war sie dennoch in der Lage, diesen – als offenbar sinnvolle – Bilderkategorie zu identifizieren und sogar Geschlechtsmerkmale dabei zu unterscheiden. Damit simulierte dieser Versuch auf künstlich-technische Weise erfolgreich die Mechanismen, wie sie womöglich bei Neugeborenen und Kleinkindern ablaufen, die ihre ersten und durch angeleitetes Lernen noch wenig beeinflussten Schritte in einer für sie neuen Welt unternehmen. Google verwendete in diesem Kontext auch den Begriff des maschinellen „autodidaktischen Lernens“.

Wie künstliche Kreativität entsteht. Aus: „Künstliche Intelligenz und Industrie 4.0“,
Vortrag von Andreas Wagener, 26.10.2016

Vom maschinellen Lernen zur künstlichen Kreativität

Aufschlussreich war jedoch auch die weiterführende Analyse dieser Methodik. Da, wie oben beschrieben, auf den Bildern bestimmte Merkmale verstärkt und mit identifizierten Mustern verglichen wurde, untersuchte man gespannt, wie die KI wohl mit Bildern umgehen würde, auf denen zumindest für das menschliche Auge „nichts“ zu sehen war, auf denen also keine optischen Strukturen und Konturen erkannt werden konnten. Und tatsächlich wendete das System die gleiche Vorgehensweise an: Auf einem Foto, auf dem ein Mensch nicht mehr als womöglich ein „weißes Rauschen“ erblicken konnte, „verstärkte“ die KI von ihr „wahrgenommene Elemente“ und glich diese mit anderen, bekannten Bildbestandteilen ab. Auf diese Weise „justierte“ die KI schrittweise ihre Entscheidung über das, was sie in dem Bild „wahrnahm“ und passte darüber den „Output“, ein zunehmend vom Ausgangszustand „verfremdetes“ Bild, schrittweise an. Das Ergebnis hatte mit dem Original optisch nichts mehr gemein, ein völlig neues Bild war somit entstanden.

KI und Künstliche Kreativität

Ein Vergleich von Ausgangs- und Endpunkt offenbarte keinerlei Ähnlichkeit oder Verwandtschaft: Die KI hatte etwas Neues geschaffen, sie war somit gewissermaßen „kreativ“ tätig geworden. Auch wenn, wie bereits beschrieben, zuvorderst die Fähigkeit des „Lernens“ – die wir vor allem dem Menschen und den Säugetieren zuschreiben –, mit dem Vorhandensein von Intelligenz verbunden wird, besteht vermutlich eine weitreichende Einigkeit, dass Kreativität ein zutiefst menschliches Kompetenzmonopol darstellt, welches ohne das Vorhandensein von „Geist“ und die entsprechenden intellektuellen Voraussetzungen nicht denkbar erscheint. In unserer allgemeinen Wahrnehmung setzt Kreativität vermutlich noch stärker die Existenz von Intelligenz voraus, als das in Bezug auf die Lernfähigkeit der Fall ist. Umso erstaunlicher mutet es an, wenn nun, wie in diesem Fall, eine Maschine scheinbar Fähigkeiten erworben hat, mit denen neue Dinge „erschaffen“ werden können.

In Folge dieser Erkenntnis ließ man der KI „gestalterisch“ freien Raum. Daraufhin entstand eine schier unzählbare Menge an neuen, autonom durch Computer generierten Bildern, an KI-geschaffenen „Kunstwerken“, teilweise mit verblüffendem, scheinbar intellektuellem Tiefgang.

KI komponiert Musik

In einem weiteren Schritt wurden dieses Prinzip und die Vorgehensweise auf andere Bereiche ausgedehnt. Die neuronalen Netzwerke lernten ebenso, Musik zu komponieren wie auch mehr oder minder eigenständig fiktionale Texte mit prosaischem Anspruch zu „verfassen“. Aus der Erkennung von Mustern in Musik lassen sich heute „vergleichbare“ Kompositionen ableiten – also autonomisiert aus bestehenden „Hits“ neue, ähnliche Songs erstellen, die die gleichen Eigenschaften wie das Original aufweisen, also auch die gleichen Zielgruppen ansprechen könnten.

Genutzt wird dies zum Beispiel beim „Soundbranding“, wenn eine bestimmte Klangformation zur akustischen Unterfütterung einer Marke beitragen soll. Wird bei den Adressaten eines Werbeclips beim Hören der Begleitmusik eine spezifische Stimmung ausgelöst, die sie eigentlich mit einem bekannten Lied, dem Original verbinden, so lässt sich diese Emotionalität unterschwellig mit der Marke verknüpfen. Man „erinnert“ sich an das ursprünglich gehörte Original und den natürlich idealerweise positiven Kontext und überträgt diese Einstellung auf das beworbene Produkt. Aus der intensiven Analyse der Zusammenhänge von Klängen und Emotionen lassen sich dann gezielt jeweils zum Markenkern „passende“ Kombinationen ableiten. Dies könnte dann unter anderem zu analytisch ermittelten Sound-Logos und kompletten akustischen Markenauftritten führen, deren Wirksamkeit nun, durch den Einsatz intelligenter Verfahren, auch belegbar und planbar wird.

Die Technologie der „GANs“

In jüngerer Zeit rückten zudem sogenannte „Generative Adversarial Networks“ („GAN“) zunehmend in den Fokus, die insbesondere bei der Erstellung künstlicher fotorealistischer Bilder zum Einsatz kommen. Der Begriff „adversarial“, zu Deutsch „kontradiktorisch“ oder „gegensätzlich“, bezieht sich auf die dabei zur Anwendung kommende „Gegenüberstellung“ zweier miteinander interagierender Netzwerke. Das eine, der „Generator“, erzeugt Elemente, die vom zweiten, dem „Diskriminator“, bewertet werden.  Das Generatornetzwerk erhält als Input ein zufälliges Signal und erzeugt daraus ein Bild. Das Diskriminatornetzwerk muss aus dem Vergleich mit „echten“ Bildern entscheiden, ob es sich bei dem vom Generator übergebenen Bild um einen Teil dieser Gruppe oder um ein „künstlich erzeugtes“ handelt.

Das „Trainingsziel“ des generativen Netzwerkes besteht darin, die Fehlerrate des diskriminierenden Netzwerkes dabei sukzessive zu erhöhen, es also zu täuschen, so dass letzteres die synthetischen Bilder als „echt“ einstuft. Da beide Netzwerke ihre Fähigkeiten im Laufe des Prozesses erhöhen – also auch der Diskriminator, die „Messlatte“ zunehmend für eine Einstufung als echtes Bild höher anlegt – verbessert sich damit auch „automatisch“ die fotorealistische Qualität der erzeugten Bilder. Die Netzwerke trainieren sich auf diese Weise gegenseitig.

KI-Kunst bei Christie’s

Weltweit Schlagzeilen machte in diesem Kontext die Erschaffung einer abstrakten Portraitreihe der (fiktiven) Familie „de Belamy“ durch eine KI – und deren anschließende Versteigerung bei Christie’s in New York. Ein Generatornetzwerk erzeugte „handgemalt“ erscheinende Bilder, denen der verwendete Diskriminator im Vergleich mit anderen, tatsächlich menschlich geschaffenen Kunstwerken trotz der tatsächlichen „synthetischen“ Erstellungsmethode gerade noch einen künstlerischen Ursprung zusprach. Bei einem Startpreis von immerhin US-$ 7.000 für das Gemälde des angeblichen Familienoberhauptes „Edmond de Bellamy“ wurden in der Auktion schließlich satte US-$ 432.500,00 erzielt.

Gemeinsamer Kreativprozess von Mensch und Maschine

Der Ansatz der GAN-Technologie findet inzwischen auch bei der Unterstützung menschlicher kreativer Prozesse Verwendung. Der Designer Philippe Starck setzte diese zur halbautomatisierten Ideenfindung in einem Projekt mit Autodesk für die Entwicklung eines neuen Stuhls ein. Dazu wurden mittels einer  „prototype generative design software“ nach Vorgaben des Designers verschiedene Optionen innerhalb dieses Rahmens von der KI ausgelotet. Dem Menschen obliegt dann die finale Entscheidungen welche Richtungen im weiter eingeschlagen oder welche Entwürfe schließlich umgesetzt werden sollen.

Für die Entwicklung von Computersystemen und Algorithmen markiert die Fähigkeit zur Kreativität auf dem Weg zur „menschlich“ werdenden Maschine sicherlich einen Meilenstein. Ähnlich wie das Lernen – oder sogar noch stärker – verkörpert dies eine Kompetenz, die wir intensiv und zwangsläufig mit dem Vorhandensein von Intelligenz verbinden. Natürlich laufen menschliche Kreativitätsprozesse auch auf andere, vielschichtigere und tiefergreifendere Weise ab. Dennoch dürfte unser Blick auf KI und unsere Beurteilung ihrer aktuellen und zukünftigen Leistungsfähigkeit durch diese Wahrnehmung wesentlich geprägt werden.


Vortrag/Keynote von Prof. Dr. Andreas Wagener: „Ein neues Zeitalter im Marketing: Künstliche Intelligenz, maschinelle Kreativität, virtuelle Realitäten & DNA-Targeting„:

Mehr Informationen zum Thema KI im Marketing finden Sie im Buch von Andreas Wagener Künstliche Intelligenz im Marketing, Haufe, Freiburg, 2023

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