Die Digitalisierung verändert unser Leben maßgeblich. Gewinnen Roboter und Computer die Oberhand oder leiten sich daraus nie dagewesene Chancen ab? Ist das menschliche „Tuning“ zu „Cyborgs“ die Antwort auf die Herausforderungen der Technisierung durch Daten, Algorithmen und Künstliche Intelligenz?
Kaum eine Diskussion um Wohl und Wehe der Digitalisierung kommt in jüngster Zeit ohne den Begriff der „Künstlichen Intelligenz“ („KI“) aus. Allerlei mögliche Szenarien werden zur Erfassung dieses Phänomens bemüht, von autonom agierenden digitalen „Chatbots“ – wie sie heute schon in sozialen Netzwerken oder als Hardware-gewordene Version in Form von Amazons „Echo“ und dem Sprachassistenten „Google Home“ Wirklichkeit sind – bis hin zur Herrschaft der Maschinen und der vollständigen Vernichtung der Menschheit.
Und was ist wirklich „Künstliche Intelligenz“?
In Wahrheit tun wir uns jedoch schwer, die tatsächliche Tragweite und Bedeutung dieser Entwicklung zu erfassen. Das liegt unter anderem daran, dass es sich bereits als schwierig erweist, ein einheitliches Verständnis von Intelligenz überhaupt zu finden. Auch eine einheitliche Definition von „Künstlicher Intelligenz“ gibt es nicht. Allerdings besteht weitgehend Einigkeit über bestimmte beschreibende Merkmale. Dazu gehören etwa die Fähigkeit, Muster und Logiken zu erkennen (etwa in Texten oder Bildern), Voraussagungen auf dieser Basis abzugeben und über geschriebene oder gesprochene Worte kommunizieren zu können. Als maßgeblich gilt jedoch die Fertigkeit zu lernen, also aus vorausgegangenen Tätigkeiten eigenständig Verbesserungen abzuleiten und autonom Kriterien zur Beurteilung von Sachverhalten aufzustellen.
Vom Automatismus der Chatbots zu „echter“ Intelligenz
Die meisten Chatbots erfüllen zumindest diese letzten Eigenschaften in der Regel nicht. Als klassisches Beispiel wird hingegen oft Googles Alpha Go angeführt, die Künstliche Intelligenz, die es geschafft hat, beim asiatischen Brettspiel „Go“ den Großmeister Lee Sedol zu bezwingen. Nun gab es in der Vergangenheit bereits mit Deep Blue einen Computer, der beim Schach den Weltmeister Gari Kasparow in die Knie zwang. Go unterscheidet sich jedoch wesentlich von Schach; es gilt als hochkompliziert und bislang als kaum für eine Computersimulation programmierbar. Anders als bei Schachsimulationen hat die KI von Google neue Spielzüge selbst gefunden und Zugkombinationen entwickelt, die man bei menschlichen Spielern so zuvor noch nie gesehen hatte. Diese maschinell erbrachte „Geistesleistung“ gilt gemeinhin als Beleg für eine Künstliche Intelligenz.
Künstliche Kreativität
Gerade diesem Feld wird derzeit eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, so dass hier in den nächsten Jahren von erheblichen Entwicklungssprüngen ausgegangen werden kann. Künstliche Intelligenzen werden heute bereits, aufgrund ihrer Fähigkeit, eigenständig logische Zusammenhänge zu erkennen, eingesetzt, um auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen – ohne dass es noch eines menschlichen Eingreifens bedürfte. Selbst kreative Leistungen werden durch KI erbracht. Google etwa lässt sein lernendes System „Magenta“ Kunstwerke erstellen, sogar die Komposition von Musik oder auch das eigenständige Verfassen von Prosa wurden bereits erfolgreich erprobt.
Intelligente Robotik und selbststeuernde Drohnen
Die Firma Boston Dynamics stellt Roboter her, die Menschen in verschiedenen Situationen zur Hand gehen. Sie können im Haushalt helfen, räumen die Geschirrspülmaschine ein und schaffen es dabei, ein Glas von einer leeren Bierdose zu unterscheiden – in der Gewissheit, dass letztere nicht in den Abwasch gehört, sondern zielsicher in den Mülleimer zu sortieren ist. Diese Systeme agieren völlig unabhängig von einer menschlichen Steuerung und wirken dabei eher wie ein intelligentes mechanisches Haustier. In der Industrie sind Roboter schon lange im Einsatz, um verlässlich sich wiederholende Aufgaben zu erfüllen, nun werden diese jedoch immer mehr mit einem eigenen Handlungs- und Entscheidungsrahmen ausgestattet. Darunter können unterstützende Tätigkeiten fallen, wie etwa ein Paket von A nach B zu bringen oder bestimmte Sortierungs- und Erfassungsarbeiten zu übernehmen. Es gibt inzwischen auch schon selbst steuernde Drohnen, die eigenständig die Bestandsaufnahme des Inventars in einer Lagerhalle übernehmen. Inzwischen werden Künstliche Intelligenzen sogar als Führungskräfte eingesetzt. Hitachi greift in der Logistik auf eine KI zurück, die den Mitarbeitern Handlungsanweisungen gibt, etwa für die Pack- oder Lieferreihenfolge.
Autonome Roboter in der militärischen Nutzung
Eigentlich lag jedoch der Ursprung dieser intelligenten Roboter in der militärischen Nutzung. Als Lastenträger steuern sie sich heute bereits selbst und finden eigenhändig den Weg zum vorgegebenen Ziel, auch durch unwegsames Gelände. Im Kampfeinsatz müssen diese Roboter jedoch auch tiefergreifende Entscheidungen treffen. Als autonome Kriegssysteme werden sie inzwischen mit Waffen ausgestattet und könnten in naher Zukunft selbstständig über deren Einsatz befinden. Laut einem Arbeitspapier der US-Army will diese bis spätestens zum Jahr 2030 auf derartige autonome Systeme zur Kriegsführung zurückgreifen. Die Entscheidung über Leben und Tod wäre also dann vollständig in der Hand von Maschinen.
„Singularität“: Science Fiction oder konkrete Bedrohung?
Was wie ein klassisches Narrativ aus der Science Fiction klingt, ist damit heute greifbar nah. Ohne Zweifel drängen sich an dieser Stelle Bilder aus den Kino-Blockbustern „Terminator“ oder „Matrix“ auf, deren Geschichte darum kreist, dass in einer fernen Zukunft die Maschinen die Macht über die Menschheit ergriffen haben und diese wahlweise eliminieren (Terminator) oder unterwerfen und ausbeuten (Matrix). In der akademischen Diskussion versucht man diese Thematik mit der Frage nach der sogenannten „Singularität“ Herr zu werden. Damit wird der Zeitpunkt definiert, an dem die Maschinen und Künstliche Intelligenzen uns Menschen in der Leistungsfähigkeit, insbesondere kognitiv überholt haben werden. Es besteht dabei Uneinigkeit darüber, ob das nun eine Bedrohung oder einen Segen für die Menschheit darstellt. Auch die Frage, was wir Menschen dann mit unserer ganzen Freizeit anfangen, wenn die Maschinen uns alle Arbeit abgenommen haben, wird in diesem Kontext diskutiert, etwa im Rahmen der Überlegungen zu einem „bedingungslosen Grundeinkommen“, das vielen nach Eintritt der Singularität als unvermeidlich erscheint. Denn wenn bei der zunehmenden Intelligenz von Maschinen und Robotern diesen zunehmend mehr Arbeit übertragen wird – schlichtweg weil sie viele Tätigkeiten besser als ein Mensch erfüllen können – so bleibt letztlich immer weniger für den Menschen zu tun. Die Folgen wären weitreichende Arbeitslosigkeit und gähnende Langeweile aller Orten. Das allein stellt, auch ohne Weltuntergangsszenarien, bereits zweifelslos eine große gesellschaftliche Herausforderung dar.
Cyborgs & Kognitiver Transhumanismus
Damit rückt ein anderes, ebenfalls der Science Fiction entlehntes Szenario in den Fokus: Eine Möglichkeit wäre, die Errungenschaften der Digitalisierung zu nutzen, um den Menschen als solchen zu „verbessern“ und auf diese Weise den sich entwickelnden Maschinen entgegenzustellen. Im Prinzip bedeutet dies eine Verschmelzung von Mensch und Technik – die Schaffung von „Cyborgs“. Auch wenn manchem dabei zunächst das Bild von mit ihren Smartphones verwachsen scheinende Teenager in den Kopf kommen mag: Tatsächlich gibt es heute bereits Menschen, die sich Chips einpflanzen lassen, um ihre Fähigkeiten zu erweitern. Manche tragen Magnete unter der Haut, um einen weiteren Sinn zu gewinnen – die Fingerspitzen vibrieren, wenn man sich einem elektromagnetischen Feld nähert – andere implantieren sich RFID-Chips, mit denen eine Authentifizierung in Schließsystemen vorgenommen werden kann, zum Beispiel um einen Kopierer „freizuschalten“.
„Pimp my Brain!“: Blended Intelligence als Antwort auf die Intelligenz der Maschinen
Neben diesem eher profanen menschlichen „Tuning“ rückt zunehmend das Phänomen der „Blended Intelligence“ in den Vordergrund, welches auf die Erweiterung der kognitiven menschlichen Fähigkeiten zielt. Das menschliche Gehirn ist schon länger im Visier der einschlägigen Forschung. Bereits heute werden Epilepsie-Patienten mit einem „Gehirnschrittmacher“ ausgestattet. Die EU hat 2015 eine Milliarde Euro in das „Human Brain Project“ investiert, mit dem Ziel, einzelne Bereiche des menschlichen Gehirns durch künstliche Bestandteile wie Computerchips zu ersetzen, um auf diese Weise Krankheiten wie Parkinson zu heilen. Die Möglichkeiten sind damit jedoch nicht auf medizinische Anwendungen allein beschränkt. Das Gehirn gilt vielen als die ultimative „Schnittstelle“ der Zukunft. Eine Umfrage des Bundesforschungsministeriums im Jahr 2015 ergab, dass 51% der Deutschen sich vorstellen könnten, sich Implantate ins Gehirn einsetzen zu lassen, wenn diese zur „Steigerung der geistigen Fähigkeiten“ beitrügen, also etwa um die Konzentration oder die Gedächtnisleistung zu verbessern. Auch die Steuerung von externen Geräten und Computern, die bisher noch klassischer Eingabegeräte wie Tastatur oder PC-Maus bedürfen, soll in Zukunft direkt über das Gehirn erfolgen. Tatsächlich gibt es aktuell schon vielversprechende Versuche, die Erfassung der Gehirnströme zur Steuerung von Flug-Drohnen zu nutzen. Auch simple Gedankenübertragung von einem Menschen auf den anderen – die Übermittlung der Worte „ja“ und „nein“ – ist über die Codierung der Gehirnströme bereits erfolgreich durchgeführt worden.
Gehirnprothesen & Implantate für Gedanken?
Ein Haupttreiber dieser Entwicklungen ist die „DARPA“, gewissermaßen der akademische Arm des US-Militärs. Um kriegsversehrte Veteranen zu unterstützen hat diese maßgeblich zu den Erfolgen auf dem Gebiet der Prothesenentwicklung beigetragen. Jedoch sind Kriegsverletzungen nicht immer auf den Verlust eines Armes oder Beines beschränkt – auch solche künstlichen Extremitäten lassen sich inzwischen recht filigran „neurologisch“ steuern – die Folgen von Kampfeinsätzen sind allzu oft auch psychischer Natur. Und auch hierfür versucht man Behandlungsmöglichkeiten bereitzustellen. Selbst Gedächtnisverlust soll in Zukunft mit entsprechenden Implantaten therapiert bzw. sollen die Erinnerungen wieder im Gehirn rekonstruiert werden. Das setzte allerdings voraus, dass diese bereits vor dem Kampfeinsatz „abgespeichert“ worden sein müssten. Aus heutiger Sicht ist das noch schwer vorstellbar. Aber tatsächlich ruht ein gewichtiger Fokus der Forschung auf diesem Bereich.
Moralische Fragen: Die Macht der Algorithmen
Künstliche Intelligenz und die „transhumanistische“ Vision vom technisierten Menschen und der digitalen Erweiterung seiner geistigen Fähigkeiten zur „Blended Intelligence“ überlagern sich in einigen Bereichen. Moralische Fragen drängen sich bei beiden Entwicklungsrichtungen auf, und wie bei jeder technischen Innovation liegen Nutzen und Schrecken jeweils nah beieinander. Wir lesen und hören heute viel davon, wie man Daten und Algorithmen nutzen kann, um Menschen zu manipulieren, auch um sie hinsichtlich ihrer Stimmabgabe bei eigentlich demokratischen Wahlen zu beeinflussen. Welche Rolle kommt dann hierbei Künstlicher Intelligenz zu? Auch wenn diese in der Lage ist, eigenständig hinzuzulernen, stellt sich die Frage, auf Grundlage welches Wertesystems diese ihre Entscheidungen trifft. Die EU fordert ein Recht auf Auskunft für ihre Bürger, wenn Algorithmen bei einer Entscheidung – etwa bei der Zuordnung zu einem Versicherungstarif – im Spiel waren. Die Faktoren dieser Entscheidungsfindung müssen offengelegt und für den Betroffenen transparent gemacht werden. Bei Künstlicher Intelligenz gestaltet sich das in der Realität oft schwierig. Denn diese hat sich ja meist ihre Prüf-Kriterien selbst erarbeitet, so dass es selbst den Entwicklern von KI mitunter schwerfällt, die Gründe für eine Entscheidung nachzuvollziehen.
Kann man Menschen „hacken“?
Für Künstliche Intelligenz wie auch für das menschliche „kognitive Upgrade“, des „Cyborgs“, erweist sich die Möglichkeit eines Eingriffs von außen als problematisch. Wenn es möglich ist, Erinnerungen zu speichern und zu einem späteren Zeitpunkt wiedereinzusetzen, kann man dann diese auch abändern oder manipulieren? Erinnert man sich dann tatsächlich an das, was gewesen ist oder an etwas, was andere einen glauben lassen wollen? Für die Psychotherapie ergäben sich daraus völlig neue Möglichkeiten, allerdings liegt das Gefahrenpotenzial ebenso auf der Hand. Kann man dann einen Menschen „hacken“? Und können wir es uns auf der anderen Seite überhaupt noch leisten, uns nicht technisch aufzurüsten? Aber wo liegen dann noch die Unterschiede zwischen Mensch und Maschine?
Noch ist unklar, wie weit die Entwicklung tatsächlich reichen wird. Aber unbestreitbar ist: Nicht nur die Welt, in der wir leben, auch der Mensch selbst wird sich durch die Digitalisierung grundsätzlich verändern. Mit ihren Smartphones scheinbar verwachsene Teenager werden uns in der nun schon sehr nahen Zukunft der „Blended Intelligence“ bald wie ein Anachronismus vorkommen.
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Prof. Dr. Andreas Wagener. Professur für Digitales Marketing: eCommerce & Social Media, Hochschule Hof
„Cyborg Economy Reloaded: Vom Cyborg zum Psyborg – wie die Digitalisierung das menschliche Bewusstsein, unsere Psyche sowie unsere intellektuellen Fähigkeiten verändert“ (Vortrag an der Hochschule Hof am 18.11.2015 im Rahmen der Ringvorlesung „Digitalisierung, Industrie 4.0 & das Internet der Dinge“ der Fakultät Wirtschaft an der Hochschule Hof.) #profwag
Mehr zum Thema Künstliche Intelligenz:
Prof. Dr. Andreas Wagener. Professur für Digitales Marketing: eCommerce & Social Media, Hochschule Hof
„Industrie 4.0, Datenökonomie und Künstliche Intelligenz: Wie Daten und Algorithmen Wirtschaft und Gesellschaft verändern“ (Vortrag an der Hochschule Hof am 26.10.2016 im Rahmen der Vortragsreihe „Digitale Wirtschaft, Industrie 4.0 und das ‚Internet der Dinge‘“ der Fakultät Wirtschaft der Hochschule Hof.) #profwag
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