Individualisierung der Informationsgesellschaft: Zielgruppenfragmentierung und Mediaplanung im digitalen Zeitalter (3/7)

Fragmentierung der Informationssuche

Die Vielzahl der Informationskanäle führt dazu, dass Informationen – und Medien – heute von jedem individuell genutzt werden. Jeder hat bestimmte Vorlieben, wie er ihm subjektiv wichtige Informationen konsumieren will: Die Tageszeitung beim Frühstück oder morgens mit dem ersten Kaffee ins Internet? Online am Desktop oder mobil mit dem Smartphone? Lieber „push“ oder eher „pull“? Vorzugsweise selbstbestimmt bei einer „Stammwebsite“? Oder soll doch lieber mein Netzwerk bei Facebook oder XING diese „Redaktionsfunktion“ für mich übernehmen? Während wir uns früher derartige Fragen gar nicht erst stellten, beantwortet diese heute jeder für sich persönlich sehr unterschiedlich, abhängig von der Art der Informationen, aber vor allem auch von den eigenen Vorlieben und Nutzungsweisen: Unsere (Informations-)Gesellschaft individualisiert sich zunehmend.


In unserem Beitrag zur „Zielgruppenfragmentierung“ und ihren Auswirkungen auf die Mediaplanung hatten wir angekündigt, uns mit den Treibern dieses Phänomens auseinanderzusetzen. Nach dem Phänomen der „Aufmerksamkeitsökonomie“ beschäftigen wir uns heute mit der zunehmenden Individualisierung der Informationsgesellschaft und der damit einhergehenden „Entwertung“ klassischer Zielgruppentypologien wie der „Sinus-“ und „Sigma-Milieus“:

Begrenzte Aussagekraft herkömmlicher Zielgruppenmodelle wie „Sinus“ und „Sigma“

Unbestreitbar haben sich die Einflüsse auf die Nutzung von Medien grundlegend geändert; soziale Treiber sind zwar auch, aber nur in bestimmten Bereichen relevant. Das Mediennutzungsverhalten klafft auseinander entlang verschiedenster demographischer und kultureller Merkmale. Klassische Zielgruppenmuster und -typologien, wie die etwa die SIGMA- oder Sinusmilieus, die dies nicht abbilden, büßen damit massiv an Aussagekraft ein: Welchen Wert hat es aus kommunikationspolitischer Perspektive, eine Zielgruppe in „adaptive Pragmatiker“ oder „Hedonisten“ zu klassifizieren? Es erscheint zunächst grundsätzlich fraglich, ob sich hinter diesen anorganischen Begrifflichkeiten tatsächlich konsistente Zielgruppen verbergen. Für die Werbewirtschaft sind diese Kategorien allemal gänzlich ungeeignet, sagen sie doch nichts über Erreichbarkeit und tatsächliche Absatzpotenziale spezifischer Produkte aus. Gewissermaßen wurde das Pferd vom falschen Ende aufgezäumt.

Zielgruppendefiniton vom Produkt aus

Werbemäßige Zielgruppendefinition sollte immer vom Produkt aus erfolgen, in einem zweiten Schritt gilt es dann deren Erreichbarkeit zu eruieren. Insbesondere aber für die Wahl der Kommunikationskanäle, für eine professionelle „Mediaplanung“, liefern diese Systematiken wenig Erkenntnis: Wo und wie erreiche ich denn den „Hedonisten“, den „Perfomer“ oder das „expeditive Milieu“ (genau)? Diese Frage bleibt unbeantwortet, und eine Antwort darauf zu suchen ist, hinfällig, da sie auch bereits falsch gestellt wurde. Nicht nur sehen wir uns mit einer stetig wachsenden und kaum zu überblickenden Zahl unterschiedlicher Nutzergruppen konfrontiert, es besteht auch kaum Trennschärfe zwischen den einzelnen Gruppen. Aufgrund der nutzungsbedingten Heterogenisierung gibt es einerseits die Werbezielgruppe „der 14- bis 49-Jährigen“ nicht mehr, andererseits sind die entstandenen „Untergruppen“ in ihren Verhaltensweisen derart fragmentiert, dass eine Unterteilung von vorneherein nicht mehr sinnvoll erscheint.

Konvergenz als Verstärker des Individualisierungsphänomens

Das Phänomen der Konvergenz – womit ja eigentlich ein „Zusammenwachsen“ beschrieben wird – befeuert die Individualisierungsproblematik zusätzlich – jedenfalls für die Werbewirtschaft. Zwar werden Inhalte heute auf unterschiedlichsten Ausgabegeräten dargestellt, aber für einen Werbungtreibenden bedeutet dies: Anpassung der Werbebotschaften an die spezifische Nutzungssituation und die technischen Spezifika. Ein Werbefilm im Kino oder Fernsehen wird immer anders konsumiert werden (oder sich mit anderen Konsumerwartungen konfrontiert sehen) als auf einem Mobiltelefon oder einem TabletPC. Auch die Akzeptanz von Werbung wird je nach Medium und dessen spezifischer Nutzungssituation stark variieren. Wo früher nur eine Version einer Werbebotschaft benötigt wurde, sind heute Varianten für eine Vielzahl von „Devices“ zu erstellen. Dies gilt selbst innerhalb eines einzelnen Medienkanals angesichts unterschiedlicher Standards: Inhalte für mobile Smartphones müssen aufgrund inkompatibler Betriebssysteme und Plattformen – Apple iOS, Google‘s Android, Windows – sowie unterschiedlicher Displaygrößen in aller Regel angepasst werden. Zielgruppendefinitionen – im mediaplanerischen Sinne – erfolgen demnach unter immer stärkerer Berücksichtigung dieser Abgrenzungskriterien.

Der nächste Teil der Reihe skizziert einen Ansatz zur Erfassung der Dimensionen der aus der Individualisierung und dem Phänomen der „Attention Economy“ resultierenden Zielgruppenfragmentierung.

 

Quellen:

Barabási, Albert-László (2013): Network Science. In: Philosophical Transactions A. Royal Society, 18.02.2013. http://dx.doi.org/10.1098/rsta.2012.0375
o.V. (2014a):http://www.sinus-institut.de/loesungen/sinus-milieus.html
o.V. (2014b):http://www.sigma-online.com/de/SIGMA_Milieus/

 

2 Gedanken zu „Individualisierung der Informationsgesellschaft: Zielgruppenfragmentierung und Mediaplanung im digitalen Zeitalter (3/7)

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